29
Aug
2005

Kannst du mir verzeihen?

Das „Davor“

Die Party ist eigentlich ganz in Ordnung, er kennt die meisten Leute hier, eigentlich die übliche Gruppe. „Willste L (1)?“ „Nein, später vielleicht…“ Heute braucht er keine Drogen, er wird auch ohne fliegen, ein letztes Mal. Aber noch ist es nicht soweit. Erst will er die Party noch etwas geniessen, sich von der lauten Musik durchströmen lassen und ein bisschen abhängen. Heute hat es für einmal einige Mädchen da, die er noch nicht kennt, und an jedem anderen Tag hätte es nicht lange gedauert, bis er jede einzelne von ihnen kennen gelernt hätte, und mit der einen oder anderen auch ein bisschen mehr gemacht hätte, aber eben, heute ist ein spezieller Tag, eine spezielle Nacht, heute ist seine Nacht. Er schaut auf die Uhr, beinahe Mitternacht, er geht zur Tür und geht ins Treppenhaus. Stufe für Stufe steigt er hinauf. Die Party ist im Keller, also muss hat er noch ein ziemliches Stück weg vor sich. Normalerweise würde er für so was ja den Lift nehmen, aber heute kann er genau so gut auch laufen.
Auf dem Dach angekommen zündet er sich eine Zigarette an, der Rauch ist wie immer hässlich und auch die beruhigende Wirkung, die das Rauchen anfangs auf ihn hatte, stellt sich dieses Mal nicht ein. Langsam, beinahe genüsslich, wenngleich es für ihn kein wirklicher Genuss ist, mehr ein Muss, für ihn gehört es zu diesem besonderen Abend. Er schaut zum Himmel, keine Wolke ist am Himmel zu sehne, nur der grosse, runde Mond und die unzähligen Sterne. Er liebt die Nacht, ihre Dunkelheit und den mysteriösen Sternenhimmel, das ist, was er als letztes sehen will. Er tritt an das Geländer.

Sie wusste bereits, welchen Jungen sie sich heute schnappen will. Sie beobachtet ihn jetzt schon seit einer Weile, er schien sie nicht bemerkt zu haben. Später wird sie sich dann an ihn heran machen, aber das hat noch ein wenig Zeit. Doch plötzlich läuft er zur Türe, „Will er etwa schon gehen?“, fragt sie sich. Sie beschliesst sich, ihm zu folgen. Er macht sich daran die Treppe rauf zu steigen, doch im Erdgeschoss geht er nicht wie erwartet heraus, sondern steigt weiter hinauf. Zuerst wartet sie, denn sie denkt, er habe nur nicht begriffen, wo der Ausgang ist. Doch als er nicht zurückkommt, beschliesst sie, aus Neugierde, ihm zu folgen.

Er macht sich gerade daran, über das Geländer zu klettern, als er hinter sich die Tür aufgehen hört. Er dreht langsam den Kopf und im Türrahmen steht ein Mädchen. Sie scheint zuerst gar nicht zu begreifen was los ist, aber dann bemerkt sie es und kommt ein wenig näher. „Hey, was machst du hier?“, fragt sie. Er schüttelt nur den Kopf. „Komm doch mal weg von dem Geländer, bitte…“ Keine Reaktion. Beinahe könnte man meinen, er sei stumm. Dann sagt er leise, fast unhörbar „Bitte, geh weg… Ich will alleine sein… Bitte…“ „Nein… Ich weiss doch was du vorhast, das seh ich dir an! Komm zu mir, bring dich nicht um! Bitte spring nicht!“ „Wieso? Wieso sollte ich nicht springen? Nur weil du es sagst? Ich kenne dich doch nicht einmal, wieso sollte mich interessieren, was du sagst? Geh weg und lass mich in Ruhe!“ „Ist doch vollkommen egal, ob wir uns kennen oder nicht! Ich bin dir gefolgt, weil du mir heute aufgefallen bist, ich wollte dich kennen lernen. Und jetzt bin ich dir bis zum Dach gefolgt und du willst dich hier umbringen! Wieso das? Das Leben kann doch nicht so schlimm sein!“ „Was weisst DU denn schon? Du hast doch keine Ahnung! Wieso kümmert dich das überhaupt?! Wieso kannst du mich nicht einfach von diesem verdammten Hochhaus springen lassen? Du kennst mich nicht, wir haben uns nie zuvor gesehen, aber dennoch interessiert es dich, ob ich springe oder nicht!?! Wieso? Lass mich! Bitte…“ „Das geht nicht, ich könnte nicht mit dem Gedanken weiterleben, dass du gesprungen bist, während ich zuschaue, dass ich es nicht geschafft habe, dich zu retten. Wenn du springst… Dann springe ich hinterher…“ „Das würdest du sowieso niemals tun! So dumm wärst du nicht! Du hast ja nicht mal einen Grund zu springen, sonst würdest du mich ja verstehen! Mein Leben ist der reinste Horror! Ich kenne nichts als Angst, Hass, Schmerz und Qual. Ich habe keine Zukunft mehr, weil ich sie mir schon lange verbockt habe! Lass mich einfach, es ist für alle am besten, wenn ich einfach gehe! Dann bin ich wenigstens niemandem mehr eine Last!“ „Hör auf so zu reden, bitte! Hast du eine Ahnung, was du den Menschen antust, die zurück bleiben? Was du MIR antust?“ „Das ist mir egal! Ich habe lange genug nur noch für andere gelitten! Mir ist alles egal! Ich will nicht mehr!!!“ „Bitte komm weg vom Geländer, bitte, mir zuliebe, ich tue alles, wenn du da wegkommst! Aber bitte spring nicht, bitte…“ „Ach sei doch still!“ Ein Schritt nach hinten und er fällt. Die Sterne am Himmel entfernen sich, sie sind das letzte was er sieht. Auf einmal verschwinden die Sterne mit einem Schlag und alles wird Schwarz.

Das „Dazwischen“

Das Schwarz geht langsam in Weiss über, er fragt sich ob es nicht geklappt hat, aber das ist gar nicht möglich, 14 Stockwerke sind einfach zu hoch, na ja vielleicht hatte er Glück, oder Pech, je nach dem wie man es anschaut. Doch das Weiss wird nicht, wie erwartet, zum Krankenhaus, sondern es bleibt weiss, ein Nichts aus weiss, das doch nicht ganz nichts zu sein scheint. „Wo bin ich?“ fragt er sich laut. „Das wüsst ich auch gerne.“ sagt eine Stimme. Er kennt diese Stimme und schaut sich um. Sie steht da, offenbar ist sie auch gesprungen. „Ihr seid in dem, was ich das ‚Dazwischen’ zu nennen pflege.“ sagt eine Stimme. Neben ihnen steht ein Mann mit einem extrem langen, weissen Bart, auch sonst scheint er uralt zu sein. „Ihr fragt euch, was dieses ‚Dazwischen’ sein soll, das ist klar. Also werd ich’s versuchen zu erklären. Ihr habt euch ja beide selbst Umgebracht. Deshalb landet ihr hier und müsst hier bleiben, bis alle, denen ihr durch euren Suizid Schmerz zugefügt habt, euch vergeben haben. Dann dürft ihr von hier fort. Fragt mich nicht wohin, denn ich weiss es nicht… Aber du wirst bald gehen können, fast alle haben dir schon verzeihen.“ sagt er zum Mädchen. „Was? So schnell schon?“ „Nun ja, du musst wissen, hier fliesst die Zeit anders als da wo ihr herkommt. Auf der Erde vergingen 6 Monate bis jetzt… So jetzt haben dir alle verzeihen. Du kannst gehen. Bist du bereit?“ Sie scheint das alles nicht zu begreifen, aber er begreift es auch nicht. „Ja…“ Er nimmt sie bei der Hand und die beiden lösen sich in Licht auf. Er steht wieder alleine da. Kurze Zeit später, oder ihm kommt es auf jeden Fall nicht lange vor, kehr der seltsame alte Mann zurück. „So, dir haben nun auch alle verzeihen, bis auf eine Person, das Mädchen, das vorhin hier war…“

Das „Danach“


Wieder dieses weisse Licht. Und dann die Landschaft, doch dieses Mal kann sie es beschreiben: Es ist eine Wiese, die sanft zu einer Stadt abfällt, offensichtlich ist sie auf so was wie einem Hügel. Neben ihr steht ein Mann, er schaut auf den ersten Blick uralt aus, aber irgendwie scheint er auch zeitlos zu sein, es scheint so, als habe er schon immer so ausgesehen. "Dies ist das Danach. Hier kannst du sozusagen neu anfangen, auch wenn du dich an alles Zuvor erinnerst und eigentlich nur weiter machst! Dies ist Yuka, hier wirst du wohnen. Ich werde dich zu deiner Wohnung führen und dir alles erklären, was du wissen willst!" Das Danach gefällt ihr ziemlich. Sie ist jetzt schon zwei Monate hier und alles lief super. Die Schule, die eigene Wohnung, die Nachbarn, alles, bis dann! Sie lief gerade vom Einkaufen zurück nach Hause, da sieht sie "ihn". Sie rennt zu ihm hin. "Hey, wie bist du denn hierher gekommen? Tut mir Leid, aber ich hab dir immer noch nicht verziehen. Also wieso bist du hier?" Er scheint zuerst erstaunt zu sein, also ob er sie nicht kennt. "Er hat mich Weitergelassen, er meinte, ich sei lang genug dort gewesen! Mann bin ich froh dich wieder zu sehen! Ich wohne gleich hier in diesem Haus, willst du kurz reinkommen?" "Ja, wieso nicht, vielleicht können wir uns hier besser kenne lernen als im Davor!" Sie folgt ihm in seine Wohnung. "Setz dich doch hin. Ich schau mal was ich dir anbieten kann!" Sie setzt sich auf das Sofa. "Du musst dir aber nicht zu viele Umstände machen wegen mir!" "Nein, nein, das ist schon gut!" Sie hört ihn wiederkommen und dreht sich um. Da steht er, mit einem fiesen Lächeln auf dem Gesicht. Er kommt auf sie zu und sie erkennt. Er ist gar nicht "er"! Sie ist mit dem falschen mitgegangen, er sieht zwar ähnlich aus, aber er ist nicht "er"! "Wer bist du?! Und was hast du mit mir vor?" "Ich bin offensichtlich nicht der, für den du mich gehalten hast, aber es ist nicht wichtig wer ich bin und ich will nichts von dir, nur ein bisschen Spass." Sein Lächeln wird immer krankhafter. Sie weiss noch nicht was er damit meinte, "ein bisschen Spass", doch dann wird es ihr schlagartig klar!
"Schrei nicht und versuch nicht dich zu wehren! Es wird dann nur schlimmer! Und versuch gar nicht erst mich danach zu verraten! Du wirst mich niemals kriegen!" Er kommt auf sie zu und sie erstarrt vor Angst. Sie hätte sich nicht einmal wehren können, wenn sie es gewollt hätte, sie war viel zu verängstigt um irgendetwas zu tun! Es ist vorbei, doch es ist noch nicht vorbei für sie. Sie fühlt sich beschmutzt. Sie hält diese Erinnerungen nicht aus. Sie steht auf dem Dach, auf einem ähnlichen wie sie schon einmal gestanden ist. Doch dieses Mal ist SIE es, die springen will, und dieses Mal ist niemand anderes da. Jetzt versteht sie ihn, sie kann verstehen, wieso er nicht mehr Leben wollte, es gibt wirklich Dinge, nach denen man keinen Sinn mehr sieht. Aber ob der Tod eine Lösung ist, das weiss sie nicht. Aber sie will kein Leben mit diesen Erinnerungen führen. Sie tritt an das Geländer und steigt darüber. Sie sagt "Ich verzeihe dir!" und tritt einen Schritt nach vorne.


(1) „L“: Szenebegriff/Kurzform für die synthetische Halluzinogendroge LSD (D-Lysergic acid diethylamide
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