3
Okt
2005

Lucy

~Vorwort~

Luzy ist eine Geschichte, die ich als Aufsatz im Deutschuntericht (also während 90 Minuten) schrieb. Die Aufgabe war, eine Geschichte zu einem Zeitungsbericht zu schreiben.

~Zeitungsbericht~

Junge Frau entreisst einem Dieb die Beute
In den frühen Morgenstunden des Mittwochs hat eine junge Frau im Soul-Café in Zürich 1 einen Handtaschendieb gestellt. Ein Türsteher, der das Handgemenge beobachtete, konnte den Täter der Polizei übergeben. Gemäss Angaben der Stadtpolizei Zürich, hatte der Dieb die Handtasche ergriffen, als die Frau kurz vor 3 Uhr morgens im Lokal an der Löwenstrasse am Tanzen war. Der Mann ging zum Ausgang, die Frau realisierte den Diebstahl, eilte hinterher und riss ihr Hab und Gut wieder an sich. Der Türsteher heilt den Dieb fest. Hierauf erschien ein Komplize des Täters, der diesem zu Hilfe kommen wollte. Er konnte von einem anderen Türsteher festgehalten werden. Bei der Kontrolle der beiden Männer durch die Polizei stellte sich heraus, dass es sich um zwei Brüder aus Libyen im Alter von 19 und 22 Jahren handelt.

~Aufsatz~

Ich lege die Zeitung weg und nehme einen Schluck Kaffee. Mir gefällt nicht, was da steht, schliesslich war ich da und habe mit der jungen Frau getanzt, Lucy hiess sie. Tanzen konnte sie ausgezeichnet, aber was man in der Zeitung über den Vorfall liest, beunruhigt mich. Klar hat der Libyer die Handtasche genommen und wollte aus dem Klub heraus, aber er hat sie nicht gestohlen, vielmehr könnte man sagen, Lucy habe ihn aufgefordert, die Tasche mitzunehmen, denn kurz bevor das geschah und sie mich zum Tanzen aufforderte, flüsterte sie dem einen etwas ins Ohr und steckte ihm einen Geldschein zu. Offensichtlich dachte er, die Handtasche enthalte brisante Ware, welche die Frau nicht mit sich herumzutragen wagte. Dass er dann an der Türe gestoppt und als Dieb entlarvt wurde, erscheint mir daher seltsam, oder eher gesagt, dass die Frau ihn an der Türe stoppen liess, erscheint mir seltsam. Wenn man mich fragen würde, was ja eigentlich niemand macht, würde ich sagen, es geht um mehr als um eine Handtasche. Denn diese Libyer hatten kurze Zeit zuvor ein intensives Gespräch mit einem Anzugträger, nicht die Person, die man normalerweise im Soul-Café um diese Zeit antrifft. Die Polizei war auch erstaunlich schnell zur Stelle. Was ich damit eigentlich sagen will, ist, irgend etwas Seltsames hat sich da gestern ereignet, auf jeden Fall nicht das, was die NZZ behauptet, aber die können das ja gar nicht besser wissen, denn sie waren ja nicht da. Ich auf jeden Fall bin dem Anzugträger gefolgt, als er aus dem Lokal ging. Er schien nicht bemerkt zu haben, dass ich ihn verfolge, aber nervös wirkte er schon. Nach etwa fünf Minuten bog er in eine Seitengasse ein. Ich wollte ihm zuerst folgen, blieb dann jedoch stehen und zündete mir eine Zigarette an. Rauchend stand ich an der Ecke zur Gasse und schaute dann und wann hinein. Es war eine Sackgasse und der Anzugträger unterhielt sich mit einem weiteren Anzugträger, hinter dem zwei Männer im Schatten standen. Nach einer Weile kam der Anzugträger aus dem Lokal wieder heraus, nachdem er einen weissen Umschlag an sich genommen hatte. Er kam auf mich zu und fragte mich, ob ich ihm Feuer geben könne, ich bejahte. Also zündete ich ihm seinen Zigarillo an, anscheinend hielt er sich für zu gut, um einfach ’normale Zigaretten’ zu rauchen. Er bedankte sich kurz für das Feuer und verschwand in die Nacht. Ich blieb stehen, was mich mehr interessierte, waren die Männer in der Gasse, die weiter ausharrten, regungslos. Ich wartete weiter, auf der Strasse vor mir fuhrt kein einziges Auto vorbei, kein Mensch war zu sehen, irgendwie erinnerte das alles mehr an einen mittelmässigen Hollywoodfilm, in dem die Hauptperson zufällig herumsteht und einem Komplott auf die Spur kommt. Doch dies sollte eigentlich das nächtliche Zürich sein. Hinter mir, in der Gasse läutet ein Mobiltelefon, niemand ging ran, ich drehte mich um und schaute in die Gasse. Die Männer standen nicht mehr rum, jetzt lagen sie. Die rötliche Färbung des Bodens sagte mir genug über ihren Gesundheitszustand aus, dass ich nicht mehr nachschauen musste. Ich hielt es für klüger von hier wegzugehen. Dies tat ich dann auch. Unterwegs hielt ich Ausschau nach einer Bar, um die Wirren des Abends wegzuspülen. Doch alles was ich sah, war ein Autounfall auf einer Kreuzung, eine für diese einsame Nacht beachtliche Anzahl von Schaulustigen umringten die Unfallstelle. Da ich sowieso nichts Besseres zu tun hatte, machte ich mich auch zu einem Schaulustigen und ging nachsehen, was denn los sei. Auf dem Boden lag, offensichtlich nicht mehr allzu lebendig, der Anzugträger aus dem Soul-Café. Neben ihm stand ein schwarzer Mercedes. Der Fahrer schien nicht mehr da zu sein. Dafür kam die Polizei und die wollte die Unfallstelle erst mal für sich, also mussten wir Schaulustigen uns in die zweite Reihe begeben. Mir verging die Lust am sinnlosen Zuschauen, wie die Polizei eine Unfallstelle sichert, also begab ich mich auf den Heimweg. Diese Nacht hatte mir eindeutig zu viele Leichen und zu viele Ungereimtheiten. Zum Glück war ich in dieser Geschichte weder eine Leiche noch eine Ungereimtheit, dachte ich zumindest.
Ich nehme einen weiteren Schluck von meinem Kaffee. Eigentlich würde ich um die Zeit zur Arbeit gehen, doch mein Arbeitgeber ging gestern, ohne Vorzeichen oder Vorwarnungen, Konkurs und ich bin arbeitslos. Dass dies von einem Tag auf den anderen möglich ist, hielt ich bis heute immer für unmöglich, doch die Realität belehrte mich einigen besseren. Da ich heute nichts zu erledigen habe, gehe ich einfach aus meiner Wohnung raus und laufe in der Gegend herum. Irgendwie habe ich mehr erwartet von diesem Morgen des Herumlaufens, wenn man bedenkt, was gestern Abend alles geschehen ist, könnte man doch meinen, dass der heutige Morgen auch ein wenig spannend sein könnte, doch dem ist nicht so. Man sieht nur einige Mütter, die mit ihren Kinderwagen im Park spazieren gehen oder Rentner die ihren Hund ausführen. Keine Spur von Lucy, Libyern oder Anzugmännern, bis auf diese, welche mich anhalten. Sie kommen aus einem schwarzen Mercedes, der dem von letzter Nacht gleicht „Wir würden gerne mit ihnen reden, Herr Kraus, wenn Sie kurz Zeit hätten…“ Dass die meinen Namen kennen, verwundert mich nicht, es beunruhigt mich nicht einmal, es beunruhigt mich nur, dass die mich ansprechen, doch daran kann ich jetzt nichts mehr ändern. Ich habe Zeit und mir ist bewusst, dass ich dem Gespräch sowieso nicht entfliehen kann. „Worum geht’s denn?“ Finstere Mienen als Antwort. Offensichtlich ist es ihnen nicht genehm, dass ich Fragen stelle. „Wir würden Ihnen gerne einige Fragen stellen, aber wir halten diesen Ort für etwas unpassend, daher schlagen wir vor, wir begeben uns an einen etwas, sagen wir, gemütlicheren Ort.“ Mir ist klar, dass ich dagegen nichts tun kann und steige ihn ihren Wagen ein. Während der Fahrt wird kein Wort gesprochen. Nach einer Weile halten wir vor einem unscheinbaren Gebäude. Wir steigen aus und betreten es. Darin ist alles leer, keine Möbel oder Menschen, nur eine Lifttür. Einer der beiden Anzugmänner drückt einen Schalter neben dem Lift, die Tür geht auf und wir steigen ein. Langsam fühle ich mich unwohl, doch an diesem Unwohlsein kann ich nicht viel ändern, also lasse ich mir nichts anmerken. Der Lift hält, wir sind jetzt irgendwo unter der Erde, wir steigen aus. Der Gang vor uns scheint endlos zu sein und ist weiss, viel zu weiss auf eine Art. Wir schreiten den Gang entlang. Manchmal sieht man rechts oder links eine Türe, auch die Türen sind weiss und man erkennt sie nur an den elektronischen Schlössern. Wir gehen weiter, mir kommt es wie eine Ewigkeit vor, auch wenn nach meiner Uhr nur eine knappe Minute vergangen ist, bis wir durch eine dieser weissen Türen auf der linken Seite in einen Raum gehen. Darin hat es einen Tisch und drei Stühle, alles in Weiss, selbst das Telefon auf dem Tisch und sämtliche Kugelschreiber sind weiss. Dieses Weiss beunruhigt mich.
„Was haben Sie gestern Abend gemacht?“
„Ich war im Ausgang, im Soul-Café, hier in Zürich. Wieso?“
„Und danach?“ Meine Zwischenfrage überhören sie einfach.
„Danach ging ich weg. Zuerst wollte ich einen Freund treffen, doch der kam nicht, also ging ich dann nach Hause.“ „Ist ihnen irgendetwas aufgefallen an diesem Abend?“ „Nun ja, da war diese Sache mit der Handtasche, das haben sie eventuell in der Zeitung gelesen… Und auf dem Heimweg war da noch ein Autounfall, aber so was kann ja mal vorkommen.“ Langsam beginne ich mich zu fragen, ob und in welcher Verfassung ich wieder aus diesem Weiss herauskomme. „Und was ist mit den Leichen in der Seitengasse, bei der Sie angeblich auf einen Freund warteten? Sind die Ihnen nicht aufgefallen?“ Ich habe keine Ahnung, was ich auf so eine Frage antworten soll, also lasse ich es bleiben. „Ich entnehme ihrem Schweigen, dass sie Ihnen aufgefallen sind. Ihr Schweigen ist klug, Herr Kraus, es wäre besser Sie würden für immer schweigen…“ Was er damit meint, ist wohl klar. „Aber Gewalttaten sind uns zuwider, ich denke wir können auch eine Einigung finden, die für alle zufriedenstellend ist und die nicht der Gesundheit einer involvierten Person schadet…“ Das gefällt mir eigentlich auch nicht, aber es hört sich schon eine Spur besser an. Ich weiss, dass ich eigentlich stillschweigend alles über mich ergehen lassen und mich fügen sollte, doch ich kann es nicht lassen. „Wenn Ihnen Gewalt zuwider ist, was sollten dann die vier Leichen gestern Abend?“ „Eine kluge Frage, Herr Kraus. Doch leider kann ich ihnen die Antwort nicht geben, die Toten sind uns genau so ein Rätsel wie Ihnen, wir haben eher gehofft, von Ihnen, im Gegenzug zu ihrer Gesundheit, etwas mehr zu erfahren.“ Das gefällt mir jetzt überhaupt nicht. Entweder lügen die wie gedruckt und wollen nur mein Verschwinden rechtfertigen, zu welchem Sinn und Zweck auch immer, oder sie wollen wirklich etwas von mir wissen, das ich gar nicht weiss. „Wir werden sie jetzt gehen lassen, Herr Kraus. Wir werden ihnen nichts antun, wir wollen nur, dass Sie uns sagen, was geschehen ist, am gestrigen Abend.“ Er gibt mir eine Karte, darauf steht nichts als eine Nummer. „Rufen Sie uns an, wenn Sie etwas herausfinden, oder wenn Ihnen wieder etwas einfällt… Wir hoffen, dass Sie uns bis in sieben Tagen sagen können, was wir wissen wollen. Sonst werden wir Sie wieder zu uns einladen, um ein wenig ausführlicher über diese Angelegenheiten zu reden.“ Offensichtlich will er mich einschüchtern, was ihm ehrlich gesagt auch gelingt. Ich solle also für sie herausfinden, was da läuft, obwohl ich nichts weiss. Das hört sich überhaupt nicht gut an, zumal ich keine Ahnung habe, wie ich das anstellen solle. Die beiden führen mich wieder aus dem Gebäude, der Wagen steht nicht mehr davor, offensichtlich solle ich den Heimweg zu Fuss finden. Ich mache mich also auf den Weg. Doch nach einer Weile hält ein Auto neben mir, darin sitzt Lucy. „Steig ein, wir müssen reden!“ Das ist schon das zweite Mal heute, dass man mit mir reden will. Doch ich füge mich erneut und steige bei ihr ein. Sie trommelt während dem Fahren nervös auf dem Lenkrad herum, offensichtlich ist ihr diese Situation nicht viel angenehmer als mir. Wir fahren wieder in Richtung Stadt. Irgendwo im Kreis neun, in der Nähe des Letzigrund Stadions halten wir dann an und steigen aus. Offensichtlich wohnt sie hier. Ihre Wohnung ist klein und unordentlich, es sieht nicht so aus, als hätte sie meinen Besuch geplant. Sie setzt sich auf einen der Stühle beim Tisch. Sie fordert mich zwar nicht dazu auf, doch ich setze mich ebenfalls. Sie wirkt sehr aufgewühlt. „Was gibt es denn?“ frage ich. „Das wüsste ich auch gerne, ich weiss nur, dass auch Sie bei ‚denen’ waren… und wir haben gestern getanzt, kurz bevor…“ Sie bricht ab. Mir ist etwas unwohl dabei, wenn ich höre wie sie dieses ‚denen’ betont, so ängstlich, aber dennoch vertraut, offensichtlich weiss sie mehr als ich. Doch das macht meine Situation nicht unbedingt besser. Langsam habe ich genug von der ganzen Geschichte. Doch ich kann jetzt nichts mehr daran ändern und höre mir an, was Lucy zu sagen hat. Sie erzählt lange, ich höre zu. Danach gehe ich heraus und steige in ein Taxi. Ich fahre zum Flughafen. Dort angekommen kaufe ich mir ein Ticket für einen Flug nach irgendwo. Das Irgendwo ist Lybien. Das Kärtchen mit der Telefonnummer landet im Abfallkübel. Im Flugzeug denke ich an Lucy, sie wollte nicht mitkommen. Ich denke nicht, dass ich jemals wieder von ihr hören werde, doch ich denke auch nicht, dass irgendjemand jemals wieder etwas von mir hören wird (und das sollte auch niemand.)

~Ende~
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schöne geschichte! :)
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